25.2.2021

Digital Wondering 06

Die Digital Wonderings sind eine Reihe von Online-Diskursen rund um das kuratorische Thema TRUST. Sie können jede Form annehmen: von einem Gespräch, über ein kurzes Statement oder einen Film, bis hin zu einer fotografischen Serie. Die von Susan Bright und Nina Strand eingeladenen Mitwirkenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und können nach Belieben auf das Thema und das Format antworten und reagieren. 

Die amerikanische Fotografin Dannielle Bowman über Wahrheit und Arbeit.

Diese Fotografie zeigt eine der Säulen auf den Stufen des westlichen Portikus von Thomas Jeffersons Herrenhaus Monticello vor den Toren von Charlottesville, Virginia. An dem Novembertag im Jahr 2019, an dem dieses Foto entstand, besuchte ich Monticello im Rahmen einer Auftragsarbeit für das 1619 Project des New York Times Magazine. Ich hatte Monticello zuvor schon einmal besucht, als Fünftklässlerin bei einem Klassenausflug, bei dem wir den weiten Weg von Kalifornien an die Ostküste machten, um wichtige Orte der US-Geschichte zu besuchen. Ich erinnere mich daran, dass ich beim Besuch auf Monticello neugierig, aber angespannt und dann irgendwann wütend war. Ich erinnere mich daran, wie eine weiße Freundin, die behauptete von Jefferson abzustammen, sich bei mir im Namen ihrer Vorfahr:innen dafür entschuldigte, dass sie Sklav:innen besessen hatten – die meine Vorfahr:innen gewesen waren, wie sie sagte. Ich erinnere mich daran, dass ich unsicher war, wie ich damit umgehen sollte, und es also dabei beließ und mich stattdessen auf das beeindruckende Blau – „Wedgwood Blue“ – konzentrierte, in dem das Speisezimmer damals gestrichen war. Heute ist es in einem ebenso beeindruckenden und historisch korrekteren Gelb gestrichen. Ich glaube, dieser schreckliche Sally-Hemings-TV-Film war im selben Jahr herausgekommen. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand Offizielles auf Monticello sie oder den Film erwähnte. Ich erinnere mich daran, dass ich erleichtert war, als wir weiterfuhren.

 

Sonst erinnere ich mich an nicht viel von dem Schulausflug – nur an das Speisezimmer. Und an die Uhren; Jefferson war besessen von Zeitmessung, Uhren und Kalendern.

 

20 Jahre später, bei jenem Besuch im November 2019, waren die Uhren noch genauso interessant wie zuvor. Ich war enttäuscht, dass das Speisezimmer nicht mehr blau war, aber ich hatte inzwischen einen anderen, weniger sichtbaren Bezugspunkt gefunden. In diesem leuchtend gelben Speisezimmer und auf dem ganzen Anwesen hatte Jefferson große Anstrengungen unternommen, um die Sklav:innenarbeit zu verbergen, mit der das Anwesen bewirtschaftet wurde. In diesem gelben Speisezimmer gab es ein kompliziertes, in die Architektur integriertes System von Maschinen, Geräten, Flaschenzügen und Speiseaufzügen, das die Sklav:innen so weit wie möglich unsichtbar machte. Aber wie konnten die Menschen, die dieses Gebäude gebaut haben, verborgen sein, wenn doch ihre Fingerabdrücke ganz buchstäblich auf den Mauersteinen sind, sichtbar bis heute? Bitten Sie eine:n Reiseleiter:in, sie Ihnen zu zeigen.

 

Ich berührte diese Fingerabdrücke und die hier abgebildete Säule, um einen Gegenstand zu berühren, der von einem der versklavten Handwerker:innen berührt worden war. Sein Name war Thrimston Hern. Er war von dem Steinhauer und Maurer John Gorman zu einem „passablen Steinmetz“ ausgebildet worden.* Als Hern die Säule herstellte, war er nicht viel älter als ich zu dem Zeitpunkt, als ich sie fotografierte. Hern wurde später für 600 Dollar an Arthur Brockenbrough verkauft, den Prokurator der University of Virginia.

 

Indem ich Herns Arbeit fotografiere, möchte ich die Spuren seiner Arbeit und die Wahrheit über seine Arbeit sichtbar machen.

 

*Aus einem Brief von Martha Jefferson Randolph an Thomas Jefferson Randolf, ca. 12. Juni 1823, https://tjrs.monticello.org/letter/2345.

 

Biografie

Dannielle Bowman arbeitet als visuelle Künstlerin im Bereich Fotografie. Sie absolvierte einen Bachelor of Fine Arts an der Cooper Union und einen Master of Fine Arts an der Yale School of Art. 2019 wirkte sie am 1619 Project des New York Times Magazine mit. Bowman war Artist in Residence bei Baxter St at the Camera Club of New York, am Center for Photography in Woodstock und bei PICTURE BERLIN. 2020 wurde sie mit dem Aperture Portfolio Prize und dem PHMuseum Women Photographers Grant ausgezeichnet. 2021 wird sie am Light Work Artist-In-Residence-Programm teilnehmen. Bowman hat in den USA und international ausgestellt. Sie lebt und arbeitet in New York.

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